Konsequente Pädagogen lassen Jugendliche aufrichtiger werden
Mit Umfrage zur Ehrlichkeit bei Klassenarbeiten
Mal ehrlich, wer war noch nie unehrlich? Und kann Unehrlichkeit in bestimmten Situationen nicht auch eine Tugend sein? Etwa wenn man den leistungsschwächeren Nachbarn bei der Klassenarbeit einen heimlichen Blick auf das eigene Arbeitsblatt gewährt.
Vorbeugend tugendhaft. Freiwillig abgegebene Mobiltelefone während einer Prüfungsarbeit. (*)
Und ist es nicht eher Ausdruck von Egoismus, wenn – wie manchmal in unteren Jahrgangstufen zu beobachten – jemand zwischen sich und seinem Nachbarn demonstrativ eine Mauer auftürmt, um ganz sicher ein Abschreiben zu unterbinden?
Lehrkräfte haben besonders prägende Rolle
Emanuela Chiapparini vom Soziologischen Institut der Universität Zürich hat an der Zürcher Volkschule untersucht „wie sich Jugendliche auf Erziehungsansprüche einstellen und diese zu ihrem eigenen Vorteil unterlaufen1“. Dabei kam unter anderen heraus: Konsequente Pädagogen lassen Jugendliche aufrichtiger werden.
Eigentlich gilt es heute als eher altmodisch, wenn Lehrer und Pädagogen auf Einhaltung traditioneller Tugenden, wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, pochen. Doch das moralische Bewusstsein Jugendlicher im Alter über 14 Jahre2 ist laut Studie dennoch erstaunlich ausgeprägt. Wer etwa seinem Nachbarn bei einer Klassenarbeit heimlich hilft, ist sich zwar des Betruges eindeutig bewusst, betrachtet sich aber zugleich als selbstlosen Helfer und empfindet in der Folge keine moralischen Bedenken.
Gute Freundinnen helfen einander! Da muss dann schon der Lehrer dafür sorgen, dass sich während einer Klassenarbeit keine Versuchung ergibt, sich auch hier zu helfen. (*)
Lehrkräften weist die Forschungsarbeit bei der Ausprägung einer ehrlichen Haltung der Schüler eine besonders prägende Rolle zu. Sind Lehrer konsequent in der Einhaltung der von ihnen geforderten Tugenden – und zwar sowohl bei sich selbst als bei den Schülern – dann sind die Schüler im Schnitt aufrichtiger. Halten sich Lehrer aber selbst nicht immer an die Regeln oder wird die Einhaltung durch Schüler nicht konsequent kontrolliert, fühlen sich Schüler signifikant weniger an die Tugenden gebunden.
Das Buch ist sowohl für Lehrer als auch Eltern eine bereichernde – und nebenbei flüssig zu lesende – Lektüre. Als Lehrer mag man dazu geneigt sein, sich danach insgeheim zu prüfen, ob und wie weit in der Arbeit mit Schülern aktive Konsequenz „des lieben Friedens Willen“ verloren gegangen sein könnte. Eltern werden möglicherweise die Bewertung der Lehrer ihrer Kinder überdenken. Denn womöglich befördern gerade die unerfreulich konsequenten Lehrer (mehr oder weniger bewusst) das moralische Bewusstsein ihrer Kinder.
Mal ehrlich! Immer ehrlich? Auch bei Klassenarbeiten?
- Nein, wenn der Aufsichtslehrer die Gelegenheit geboten hat, habe ich sowohl abgeschrieben als auch Mitschüler abschreiben lassen.
(48%, 80 Stimme/n) - Nein, ich habe heimlich Mitschülern geholfen.
(32%, 52 Stimme/n) - Ja, ich habe noch nie abgeschrieben oder abschreiben lassen.
(10%, 17 Stimme/n) - Nein. Wenn der Lehrer nicht aufgepasst hat, habe ich gelegentlich abgeschrieben.
(10%, 16 Stimme/n)
Abstimmende insgesamt: 165
Linksunten: Dr. Emanuela Chiapparini
(*) Text/Bild: Andreas Bubrowski
- Emanuela Chiapparini: Ehrliche Unehrlichkeit. Eine qualitative Untersuchung der Tugend Ehrlichkeit bei Jugendlichen an der Zürcher Volksschule, Budrich UniPress, 2012 ↩
- Zwar ist man mit 14 noch nicht volljährig. Dennoch haben Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr gesetzlich verbriefte Rechte auf Selbstbestimmung, die sie de jure zu jungen Erwachsenen macht. Daher ist die Frage nach dem moralischen Bewusstsein in diesem Alter besonders interessant. ↩
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