Geschäftsidee VZ: StudiVZ, SchülerVZ, ü60VZ, LehrerVZ, Hartz4VZ, AzubiVZ, KigaVZ …
Warum hält ein Schäfer eine Schafherde? Weil er mit den Tieren Geld verdienen will, zum Beispiel mit Schafwolle, Schafmilch, vor allem aber mit Schaffleisch. Eine Schafherde in der Landschaft hat etwas Idyllisches und Friedliches an sich. Doch der Eindruck täuscht, denn in wenigen Monaten wird vermutlich die ganze Herde als Hammelbraten enden, was den Schafen Gott sei Dank erst kurz vor ihrem Ende mehr oder weniger bewusst wird.
Gruschel-mich-Werbung des Holtzbrinck-Konzerns bei SchülerVZ. (*)
Herdendasein ist also für den Herdenbesitzer von Vorteil. Für die Herdenmitglieder am Ende eher nicht. Unter Menschen nennt man Herdendasein neuerdings „soziales Netzwerk.“ Zum Beispiel SchülerVZ. Doch das „Netzwerk“ ist so wenig „sozial“ wie eine Schafherde idyllisch ist; in dem Fall zum Nachteil der Schüler.
Neulich hatten die Schüler einer siebten Klasse bis auf eine Ausnahme zur ersten Stunde ein rotes Armband angelegt. Natürlich fragte der Lehrer nach, was das zu bedeuten habe. Es stellte sich heraus, dass das Armband eine Art SchülerVZ-Outing war. Offenbar hatten die Macher dieses werbefinanzierten Internetportals – was das „soziale Netzwerk“ in Wirklichkeit ist – ihren Mitgliedern suggeriert, sie sollten doch öffentlich ZEIGEN, dass sie dort Mitglied sind. Auf Anfrage konnten sich die Schüler das Band schicken lassen. Und wie es sich die Marketing-Manager des Holtzbrinck-Medienkonzerns – der das Portal betreibt – ausgedacht hatten, reagierten die Schüler auch prompt. Zumindest jene dieser Klasse.
Mobbing und pornographische Bilder
Was soll an einem Bändchen so schlimm sein? Ist es nicht cool, wenn man Gleichaltrigen signalisiert, über das Portal erreichbar zu sein? Ein Schüler meinte: Wir sind halt so, das müssen Sie verstehen! Doch genau das ist das Problem. Es sind eben NICHT die Schüler SO. Vielmehr erliegen sie den Suggestionen einer knallhart auf Profit ausgerichteten Maschinerie – von ERWACHSENEN erfunden und betrieben. Die VZ-Community, das Bändchen und das VZ-Outing sind natürlich harmlos. Nicht harmlos ist, dass die wirklichen Motive dahinter unerkannt bleiben.
Eine Herde von etwa 800 deutschen Merino-Schafen auf einer nordhessischen Weide. (*)
Von ihren etwa 3,4 Millionen Mitgliedern erhalten die Betreiber von SchülerVZ nach eigenen Angaben pro Tag (!) rund 3.000 Mails, in denen die Absender sich über Inhalte beschweren, zum Beispiel Mobbing und pornographische Bilder. Dazu der Betreiber:
Bei der Hälfte der Klagen ziehen die Betreiber der Plattform Konsequenzen: „Wenn in Gruppen einzelne Schüler gemobbt werden, löschen wir das sofort,“ sagt Philippe Gröschel, der Jugendschutzbeauftragte bei SchülerVZ. Gibt es einen Verdacht auf kriminelle Handlungen, schalten die Verantwortlichen die Behörden ein. (Süddeutsche Zeitung, 29.08.2008)
Wenn jede einzelne der relevanten 1.500 Klagen nur fünf Minuten Zeit beanspruchen würde, müssten demnach 16 Mitarbeiter täglich acht Stunden nur damit beschäftigt sein, kriminelle Inhalte zu löschen. Wenn es so ist, wäre es beeindruckend. Doch es kommen Zweifel auf, ob der Betreiber tatsächlich einen solch kostenintensiven Personalaufwand betreibt, wie er versichert. Gerade hat der Geschäftsführer von StudiVZ und SchülerVZ, Marcus Riecke, seinen Hut genommen. Zurückgehende Klickzahlen und ein bislang wenig profitables Geschäftsmodell beunruhigen die Betreiber, die das Portal StudiVZ einst für geschätzte 85 Millionen Euro gekauft haben. Das investierte Geld muss sich endlich auszahlen. Die Erfindung von SchülerVZ sollte aus der Patsche helfen und neue Umsätze bringen. Doch wieso eigentlich? Wie kann man an Teenagern, die sich kostenlos registrieren lassen, Geld verdienen?
Der eigentliche Zweck: Zielgenaue Werbung
Klickverhalten liegt offen (*)
Dem Besitzer einer Schafherde geht es um die gewerbliche Nutzung von zum Beispiel frischem Schaffleisch. Dem Betreiber eines gewinnorientierten Online-Netzwerkes geht es um FRISCHE PERSONENDATEN. Pro aktueller Adresse wird am Werbemarkt 1,50 Euro und mehr bezahlt. Eine Millionen aktueller Teenager-Adressen könnten also theoretisch 1,5 Millionen Euro wert sein. Darüber hinaus liegt dem Portalbetreiber das gesamte Klickverhalten des einzelnen Mitgliedes offen. Alle Vorlieben, Abneigungen, alle benutzten Links, Mails, Bilder, Videos – ALLES kann mit verfolgt, ausgewertet, zu einem individuellen Profil verdichtet und Werbung dadurch profilbezogen eingeblendet werden. Wenn etwa Schüler intensiv zu einem Online-Spiel chatten, kann das jeweilige Profil so angepasst werden, dass Werbung des Spiele-Herstellers genau bei ihnen eingeblendet wird, und nicht zum Beispiel bei Mädchen, die sich für Kosmetik interessieren. Solche zielgenaue Werbung ist der eigentliche Zweck von „sozialen Netzwerken“ mit dem VZ-Anhängsel. Und sonst nichts.
Kripo liest mit
SchülerVZ wirbt bei den Kids damit, dass Eltern ausgeschlossen sind. Es mutet ein wenig wie eine moderne Ausgabe des Rattenfängers zu Hameln an, dass Erziehungsberechtigte bei SchülerVZ ausgeschlossen werden, zahlende Werbeinteressenten jedoch mehr oder weniger freien Zugang zu persönlichen und intimen Daten bekommen. Zunehmend werden Online-Portale auch für die Polizei interessant. Während bisher Profiler der Kripo nur unter strengen gesetzlichen Auflagen und in engen Grenzen Daten mühsam sammeln und auswerten mussten, steht ihnen mit den Online-Netzwerken ein geradezu unerschöpflicher Datenpool zur Verfügung. Kleiner Unterschied: Der Profiler muss jetzt nicht mehr Merkmale eines möglichen Straftäters aufwendig recherchieren, er kann direkt auf die Selbstentblößung von Millionen Mitgliedern zugreifen und per Datenbankabfrage kreuz und quer auswerten.
Schafe tragen im Ohr eine Marke, damit erkennbar ist, dass sie zu einer bestimmten Herde gehören. (*)
Wenn es bei SchülerVZ und Co. gerade nicht so gut zu laufen scheint, könnten es die Betreiber neben den bekannten Mein-, Dein- und UnserVZ vielleicht mit der stetig wachsenden Gemeinschaft der über 60-jährigen (ü60VZ) oder den Lehrern (LehrerVZ), Hartz-IV-Empfängern (Hartz4VZ) und nicht zu vergessen der Gemeinschaft der Auszubildenden und Kindergartenkinder (AzubiVZ und KigaVZ) probieren.
Hoffnung macht im Übrigen, dass sich die Schüler jener siebenten Klasse nur noch vereinzelt mit rotem Bändchen zeigen – auch wenn der nörgelnde Lehrer NICHT in Reichweite ist. Die Erklärung von Zusammenhängen und Risiken hat die Coolness nachhaltig schrumpfen lassen. Schließlich sind unsere SchülerInnen eben KEINE Schafe.
Zum Weiterlesen: Süddeutsche Zeitung: Entblößung 2.0
(*) Text/Bild: Andreas Bubrowski
Kommentare
@Ariane: WENN es etwas „Furchtbares“ gibt, hat das den Vorteil, dass das Ausmaß des Missbrauchs bekannt ist und man mit allen Registern, inkl. juristischer Mittel, reagieren kann. Viel schlimmer ist ja wenn eben NICHT auf Anhieb die Gefahr erkennbar ist. Aber man stelle sich vor: Mit 13 geht jemand zu schüler… dann mit 19 zu studi… und danach zu blabla-vz. Dieser Mensch ist dem Betreiber bekannter als dieser sich selbst. Er ist wie nackt und bloßgestellt. Wenn der an seine „Neigungen“ aus der Jugend (Politik, Partnerschaften, Musik usw.) längst nicht mehr denkt, wird das im Server weiterhin schön warm gehalten. Man weiß ja nie. Diese Person ist ungeschützt vor jeder Manipulation. Lass ihn noch versehentlich einmal auf eine Seite geraten, die vom BKA, FBI o. ä. beobachtet wird, kann es ihm passieren, beim nächsten Flug nach N. Y. wieder heimgeschickt zu werden… wenn nicht Schlimmeres. Doch es geht gar nicht um „Schlimmes“. Es geht um das PRINZIP, sich zu schützen und seine Privatspähre zu bewahren.
Aber man sollte sich nicht grämen, sondern einfach Handeln. Wirklich frei bleibt nur, wer sich von ALLEN öffentlichen Communites frei macht. Nicht mehr rein gehen, und raus, wenn man wo dabei ist. Hierzu zählt übrigens auch das freizügige Bezahlen aller möglichen Einkäufe mit EC-Karte. JEDERZEIT kann man dann auf Knopfdruck ein komplettes Bewegungsbild (wann, wo, wie lange gewesen) erstellen und sowieso das Verkaufsverhalten bis hin zum Verbrauch etwa gewisser Hygienartikel analysieren. Also – am Geldautomaten genug Geld abheben und immer schön bar bezahlen. Kenne schon viele Leute, die auf diese Weise sich wie selbstverständlich schützen.
Ausnahmen – wenn KEINE persönlichen Daten erfasst werden. Etwa wie bei Blogs wie diesem beim Kommentieren oder auch bei Twitter. ABER darauf achten, dass man LEICHT und JEDERZEIT den Account SELBST löschen kann (wie bei Twitter) oder mit einer E-Mail an den Admin, wie bei uns.
Es scheint generell zu gelten: Wenn etwas alle wie verrückt tun, wird es meist brenzlig, dann sollte man sich zurückziehen…
Man ist sich glaube ich gar nicht bewusst was für Risiken das ganze hat, und was mit unseren Daten passiert. Bis jetzt ist ja noch nicht was furtchbares passiert, oder?!
LehrerVZ gibt es ja tatsächlich :)) War im Artikel eher als derber Witz gedacht. Ob da auch gilt – Eltern bleiben draußen :?
Und dann noch das:
Das Leben erweist sich oft als skuriler als man es sich ausdenken kann.
Das Bedenkliche ist nur, dass unsere Daten OHNE unser Wissen gescannt werden als OB wir Verbrecher oder eben Schafe wären; man aber gleichzeitig so tut, als ob man Wunder wie „sozial“ und „selbstlos“ wäre. Facebook ist da übrigens ehrlicher.
Im Laufe des Lebens kann man mit allen möglichen interessanten Portalen in Kontakt kommen. Vom günstigen Gebrauchtwagen bis zum Traumpartner :h) soll man ja theoretisch alles hier finden können. Probieren geht über Studieren, heißt es ja. Ob’s stimmt wird man dann schon merken. WICHTIG scheint mir, IMMER AM ANFANG zu klären, wie das ABMELDE-Verfahren funktioniert; ob man bei Bedarf wieder schnell raus kommt. Das MUSS mindesten so schnell gehen WIE DIE ANMELDUNG.
Beispiel: Ich hatte einmal einen Mail-Account bei freenet.de. Anmelden ging ruckzuck. Doch beim Abmelden musste man plötzlich einen BRIEF (!) schreiben und per Post verschicken. Da rühren übrigens auch die oft gigantischen Mitgliederzahlen her. Weil das Abmeldeverfahren bewusst aufwendig ist, bleiben die Leute einfach angemeldet.
Und selbst wenn wir Pop-up-Blocker benutzen: Unsere DATEN und unser KLICKVERHALTEN werden rund um die Uhr gecheckt. Wenn wir wüssten, dass uns jemand in der Früh im Bad beobachtet, würden wir uns alle vermutlich „etwas“ anders verhalten als sonst. Wenn man bei solchen Portalen ähnlich achtsam agiert, bleibt man Herr des Geschehens – und eben KEIN Schaf.
Ich stimme den Aussagen zu, es mag wohl so sein…
schon bitter, wie mit unseren Daten umgegangen wird…
Aber es heißt ja nicht, dass jeder, der bei solchen Portalen angemeldet, ein „Verbrecher“ ist und etwas zu kriminelles zu verbergen hat oder?
Benutzerdefinierte Werbungen können auch hilfreichsein, um gute Angebote zu finden :P :D aber ich hab sowieso nen Popup-Blocker aktiviert :D :D :D :P