Trainingslager der verstrahlten Werwölfe
Auch in diesen Herbstferien ging es wieder nach Südfrankreich. Zwei vollgepackte Busse fuhren mit 21 CJDlern gen Süden, um die Fahrradsaison künstlich zu verlängern. Allerdings machten wir die Rechnung nicht mit dem Wetter, das auch in Südfrankreich durchaus deutsch sein kann: drei Tage Regen. Und so kam es, dass die ersten zwei Tage wortwörtlich ins Wasser fielen. Und die Zelte auch. Am dritten Tag aber schien die Sonne und wir konnten nun endlich auf zwei unterschiedlichen Routen den Mont Ventoux erklimmen.
Das ist ja voll weit, bestimmt fünf Kilometer
Oben auf 1908 Meter angekommen, stellten wir fest, dass man die schöne Aussicht nur interpretieren konnte. Selbst die Gipfelfotos schießenden Touristen, zumeist dicht eingepackt in dicke Daunenjacken, Mützen und Handschuhen waren im dichten Nebel nur schemenhaft zu erkennen. Zur Beweissicherung haben wir auch ein Foto geschossen, allerdings in kurzen Hosen und kurzen Shirts. Die nächsten Tage waren glücklicherweise ebenso ereignisreich: Wir fuhren in der schönen Provence im herbstlichen Licht entlang an duftenden Lavendelfeldern, idyllischen Weinanbaugebieten und an einer hochumzäunten, mit dutzenden Kameras überwachten Atomreaktoraufbereitungsanlage vorbei. Besonders eindrucksvoll war außerdem die Tour zur Verdonschlucht, zu welcher wir am letzten Tag alle gemeinsam gestartet sind.
Nach und nach haben wir uns in unterschiedliche Gruppen aufgeteilt, die verschiedene Routen anvisierten. Aber fast alle hatten das eine Ziel: Das Schild des berühmt berüchtigten Sensenmannes! Und wenn wir uns schon einmal die Mühe gemacht haben und bis oben hin gefahren sind, um ein Schild zu sehen, dann konnte man auch gleich die restliche Landschaft genießen, die die makellose Schönheit dieses Schildes – man mag es kaum glauben – sogar noch übertraf. Von oben konnte man auf den gigantischen Grand Canyon Europas blicken: le Gorge du Verdon. Eine bis 700 Meter tiefe und 21 Kilometer lange Schlucht, die einem in Erinnerung ruft, wie klein man eigentlich ist und wie schön, dass man es geschafft hat, mit eigenen Kräften, unterstützt von ein paar künstlichen Energiegels, so hoch zu kommen.
[mappress mapid=“64″]Le Gorge du Verdon
Aber das Naturerlebnis ist nur eine von den Erfahrungen, die man fernab der Heimat macht: Man lernt zum Beispiel auch das ansässige Volk kennen. In unserem Fall waren es die Franzosen. Diese lernten uns aber auch kennen. Und zwar von unserer besten Seite: Als wir unseren Campingplatz suchten, fragten wir eine Gruppe Jugendliche, wo denn Aubignan sei, worauf sie uns mit Entsetzen entgegneten: „Wie, ihr wollt nach Aubignan? Krass, das ist ja voll weit! Das sind bestimmt fünf Kilometer! Wollt ihr da etwa mit den Rädern hinfahren?“ Wir erwiderten: „Ja, das wollen wir. Aber wir sind heute schon 110 Kilometer gefahren und waren auf dem Mont Ventoux, da kommt es auf die fünf Kilometer auch nicht mehr drauf an.“ Daraufhin konnte man beobachten, wie sich die Gesichtszüge der jungen Franzosen leicht deformierten.
Einen bleibenden Eindruck haben wir unter Umständen auch bei unseren Zeltnachbarn hinterlassen, die hinter vorgehaltenem Fliegennetz folgendes nächtliche Ritual heimlich beobachteten: Bei Einbruch der Dämmerung sammeln sich die Fremden regelmäßig in einem großen Sitzkreis, um ihr Ritual zu vollziehen. Nur der Häuptling (Rolf Kather) steht mit einer Gaslampe in der Mitte und spricht in einem theatralischen Ton in einer fremden Sprache, um die Morde der Dorfbewohner aufzuklären. Schade nur, dass unsere Nachbarn nicht wissen können, dass wir keine Sekte oder anonyme Selbsthilfegruppe sind, sondern eigentlich ganz umgänglich und sonst auch gar nicht beißen. Wir wollen nämlich nur spielen, und zwar Werwolf! CHRISTINA LECHNER
(Gestaltung: BUB)
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