Hermann Häusling, Lokalpolitiker, dessen Bruder Martin für DIE GRÜNEN im Europaparlament sitzt, bei einer Podiumsdiskussion im CJD Oberurff.Bild: A. Bubrowski/CJD Oberurff
Hermann Häusling, Lokalpolitiker, dessen Bruder Martin für DIE GRÜNEN im Europaparlament sitzt, bei einer Podiumsdiskussion im CJD Oberurff.
Bild: A. Bubrowski/CJD Oberurff

POLITISCHE BILDUNG heißt eine der vier Säulen, die das Gebäude der Kernkom­petenzen des CJD tragen. Politische Bildung ist im CJD Oberurff also mehr als PoWi-Unterricht. Zur politischen Bildung gehört zweifellos, über aktuelle politische Ereignisse informiert zu sein. Eines der wichtigsten und auch umstrittensten politischen Ereignisse ist gegenwärtig das sich zielsicher anbah­nende Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) mit den USA. Aufgeschreckt wurden selbst politisch desinte­res­sierte Mitmenschen, als bekannt wurde, dass als Folge des Freihandelsabkommens mit einer Über­schwemmung des Einzelhandels mit „Chlorhähn­chen“ zu rechnen ist. In einer umfassenden Doku­mentation des Kultur­kanals 3sat zum TTIP wird auch Martin Häusling (MdEP, DIE GRÜNEN) inter­viewt. Häusling ist Biolandwirt. Sein Hof liegt in der Nachbarschaft des CJD Oberurff. Gute Gründe zuzuhören, was er über das TTIP und dessen mögliche Auswirkungen auf den Verbraucher­schutz und die parlamentarische Demokratie zu sagen hat.

Nur Chlorhühner oder heimlicher Staatsstreich?

Video-Link: 3sat – Gefährliche Geheimnisse: Wie USA und EU den Freihandel planen

Inzwischen warnen Experten, die Debatte um drohende Chlorhühnchenteile in Fertigsuppen und an der Fleischtheke sei trotz ihrer Berechtigung lediglich ein Ablenkmanöver vor viel weitreichenderen Gefahren des Freihandelsabkommens TTIP für den europäischen Verbraucherschutz und sogar die parlamentarische Demokratie. Heribert Prantl, für seine investigative Arbeit geachteter Journalist und Leiter des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, sprach in einer Pro-Kontra-TTIP-Debatte von einem „heimlichen Staatsstreich“. Begründung: Gesetze und Beschlüsse von demokratisch gewählten Parlamenten können zukünftig von hinter verschlossenen Türen verhandelnden Rechtsanwälten ausgehebelt werden, wenn von diesen Gesetzen und Beschlüssen Gewinneinbußen von Konzernen zu erwarten sind. Prantl: „Nicht das Chlorhuhn ist gefährlich, sondern die Privatjustiz für Großkonzerne1.“

Geheimsache Freihandel

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© ZDF, Serie „ZDFzoom“, 21. Mai 2014

Das TTIP fordert aber noch aus einem anderen Grund das wache Unterscheidungsvermögen europäischer Demokraten heraus: Das TTIP ist nur eines – inzwischen das prominenteste – von mehreren Abkommen dieser Art. Kaum bekannt, aber in seiner Auswirkung eher noch gravierender, ist etwa das ebenfalls hinter verschlossenen Türen verhandelte Dienstleistungsabkommen TiSA (Trade in Services Agreement). Hier geht es nicht nur um die Angleichung von Produktions- und Handelsrichtlinien zum Zwecke der Gewinnmaximierung von Konzernen – wie beim TTIP. Ziel ist die Erzwingung der Liberalisierung in Europa traditionell staatlicher und kommunaler Dienstleistungen. Im Visier sind vor allem Wasserversorgung, Schulsystem und Krankenhäuser.

TTIP, TiSA, …

Es geht aber auch um unsere Kontodaten. Finanzkonzernen soll es zukünftig erlaubt sein, am gesetzlichen Datenschutz vorbei Kundendaten in die USA zu transferieren. Selbst wer bisher den „Cloud-Verheißungen“ von vornehmlich US-Konzernen nicht auf den Leim gegangen ist, muss zukünftig damit rechnen, dass etwa beim Kauf der Abspielrechte eines Tracks bei iTunes seine bei der Transaktion „abgesaugten“ Daten im vorsorglich am Köcheln gehaltenen Datentopf der Terrorabwehr landen, dort nach allen Regeln der Algorithmen-Kunst ausgewertet und verknüpft werden, bevor sie als freie Handelsware auf dem Markt für Profildaten landen. Kaum einem Leser dürfte es jetzt nicht von der – noch dazu unerfreulichen – Flut an Informationen schwindlig werden. Doch politische Wachsamkeit sind wir nicht nur uns selbst, sondern vor allem unseren Kindern schuldig. Schließlich müssen die einst nicht nur ernten, was wir selbst ausgesät haben. Sie werden auch ausbaden müssen, dass wir zugelassen haben, was andere in unsere Erde säen durften. ANDREAS BUBROWSKI

Anmerkung: Hermann Häusling (s. Foto) ist im Kreistag des Schwalm-Eder-Kreises und dort Fraktionsvorsitzender von B90/DIE GRüNEN. Das Video zeigt seinen Bruder, Martin Häusling, dieser ist Biobauer, hat den Hof in Oberurff und sitzt für DIE GRÜNEN im EU-Parlament.

  1. Brauchen wir ein Freihandelsabkommen mit den USA, Süddeutsche Zeitung, 10./11. Mai 2014