Wann ist der Schulranzen wirklich zu schwer?
So schnell werden Schulranzen nicht zu schwer.
Bild: A. Bubrowski/CJD Oberurff
Sorgen von Eltern um ihre Kinder halten ganze Industriezweige am Laufen. Dabei werden Sorgen oft über die Werbung suggeriert, wo es keinen Grund zur Sorge gibt. Aber auch überlieferte Richtwerte können sich hartnäckig halten, obwohl keine wissenschaftlichen Belege existieren. Beispielweise Schulranzen. Immer schon haben nach vorn gebeugte Schüler mit schweren Schulranzen unsere Schulwege bevölkert. Nach einer DIN-Norm aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg1 dürfen Ranzen höchsten 10 Prozent des Körpergewichts betragen. Das Richtmaß bezog sich ursprünglich auf Tornister von Soldaten, die im Krieg oft lange Wegstrecken zurückzulegen hatten, was mit der Lebenswirklichkeit unserer Kinder also rein gar nichts zu tun hat. Wann aber ist der Schulranzen wirklich zu schwer?
Kinder sind robuster als man denkt
In einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit dem stellvertretenden Direktor der Klinik für Orthopädie an der Universität des Saarlandes, Eduard Schmitt, wird klar: Grundsätzlich kann man Entwarnung geben. Kinder sind robuster als man denkt. Erst wenn das Gewicht des Schulranzen sich der 30-Prozent-Marke nähert, also 30 Prozent des Gewichts des Schülers ausmacht, sind nachhaltige Belastungen der Rückenmuskulatur nachweisbar, was theoretisch zu Haltungsschäden führen kann. Ein Ranzengewicht von bis zu 20 Prozent Körpergewicht kann daher als unbedenklich angesehen werden2.
Ein Schüler von 50 Kilogramm Gewicht3, kann also gut und gerne mit 10 Kilogramm Schulsachen gefahrlos zur Schule laufen. Dadurch wird er vermutlich sogar weniger anfällig für Haltungsschäden sein, als seine Mitschüler, die ihre Bücher in der Schule in Schließfächern bunkern und sich am liebsten bis vor den Klassenraum chauffieren lassen. Denn der Ranzen auf dem Rücken auf dem Weg zur Schule hat, wenn er nicht zu schwer ist, sogar eine kräftigende Wirkung auf die Muskulatur.
Nach Eduard Schmitt sind auch nicht Preis oder Design bei einem Schulranzen entscheidend. Entscheiden ist allein das feste Anliegen am Rücken. Wie schwer es dazu im Gegensatz etwa manche Schülerinnen haben die ihre Schulsachen in schicken Handtaschen über den Campus hieven kann man täglich beobachten: die Tasche hängt am Unterarm, schneidet in die Haut ein, und um die gefühlten 20 Kilogramm halten zu können muss der Körper leicht zu einem S gebogen werden. Und müssen dann so laufen. ANDREAS BUBROWSKI
Linksunten:
Klinik für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
- 1914 – 1918 ↩
- Quelle: Die Mär vom zu schweren Ranzen ↩
- Für Schüler ab der Jahrgangsstufe 8: Ihr seht hier ein schönes Beispiel vom Widerspruch zwischen Umgangssprache und wissenschaftlich-technischer Fachsprache. Selbst ein Physik-Lehrer schreibt dann GEWICHT, wo es eigentlich MASSE heißen müsste. Oder er gibt Gewicht in Kilogramm an, wo korrekterweise NEWTON (multipliziert mit dem Ortsfaktor) stehen müsste :scratch:. ↩
Kommentare
Das Höchstgewicht des Schulranzens – Tasche und Inhalt – sollte z.B. nach Angaben der AOK maximal 10 bis 12 Prozent des Körpergewichts betragen (vgl. http://familie.aok.de/de/familienphasen/schulkind/ ). Es muss davon ausgegangen werden, dass die Angaben der AOK zutreffen, weil die AOK Krankheitskosten vermeiden möchte.
Meine Tochter sollte mit der Skoliose (Rückratverbiegung) eine Schultasche tragen, die etwa 29 % ihres Körpergewichts betrug, was man als gesunder Erwachsener ohne Wirbelsäulenschaden auch höchstens über wenige Meter durchhält. Ich muss die Tochter täglich auf eigene Kosten zur Schule fahren, weil der Wirbelsäulenschaden nach der Rechtsprechung keine Behinderung wäre.
Dass zu schwere Ranzen die Kinderrücken verbiegen, ist auch in einer wissenschaftlichen Studie mit Magnetresonanztomografie festgestellt worden (vgl. http://www.schwereranzen.de/netdoktor_News_Studie_MRT_29Jan2010.pdf ).
Hallo Herr Bubrowski,
ich finde die 3te Fussnote klasse
Reiner Selbstschutz! Um meine Glaubwürdigkeit zu retten. Als Redakteur muss ich den Physiker in mir vergessen und dann als Physiker den Redakteur. Zumal wir in Gym-9 gerade mit Druck in Flüssigkeiten und Gasen zu tun haben und in dem Zusammenhang noch einmal die wirkliche Bedeutung der Begriffe MASSE und GEWICHT herausgearbeitet haben – die natürlich im Widerspruch zur (journalistischen) Umgangssprache steht.