Auf ihrer Seite SCHULE UND HOCHSCHULE bringt die Süddeutsche Zeitung regelmäßig ein Mittelding aus Kommentar und Glosse – UNTER LEHRERN. Der Text ist oft zum Schmunzeln, immer zum Nachdenken. Das Thema vom letzten Montag ist auch in Oberurff eine nicht unbekannte Gaudi. Allerdings anders als in München – nicht der Mädchen, sondern der JUNGEN!

Platzende Präservative

Meine Freundin ist Gynäkologin. Sie kann nicht verstehen, warum ich bisweilen leise schluchzend aus der Schule komme. Vor kurzem berichtete ich ihr von meiner agilen 7. Klasse, die hochinteressiert an sexuellen Aktivitäten, aber weniger an deren Zusammenhängen und Folgen ist. Meine Freundin schlägt mir netterweise vor, sie mit meinen Schülerinnen zu besuchen. Sie wird ihnen die Praxis zeigen, Fragen beantworten und alle Berührungsängste nehmen.

In meiner 34-köpfigen Klasse sind zwölf Mädchen. Am Besuchstag fehlen drei. Ich reise also mit einer überschaubaren Gruppe. Schon in der U-Bahn sind die lieben Kleinen ausgesprochen gut gelaunt, was mir die üblichen missbilligenden Blicke beschert, die deutsche Lehrer in der Öffentlichkeit auch dann ernten, wenn ihre Klassen lieb und ruhig sind.

Da ich meinen fidelen Schülerinnen angeblich die Unbefangenheit nehme, werde ich in der Praxis separiert und ins Wartezimmer verbannt. Ich lese dort Merkblätter über Faltenunterspritzung und Grußbotschaften glücklicher Jungeltern. Was heißt lesen? Das Gegacker und Gequieke, das nebenan aus dem Sprechzimmer dringt, stört enorm. Ich biete eine effektive Soforthilfe an. Aber meine Freundin lächelt milde. Sie werde mich schon holen, wenn es ihr zu viel wird. Wenig später führen mir zwei Mädchen kichernd vor, wie sie mit einem Kondom über den Kopf aussehen und wie groß ein Tampon wird, wenn man ihn in ein Glas Wasser hält. Als wir nach einer knappen Stunde gehen, tragen alle Schülerinnen diverse wassergefüllte Präservative bei sich: am Handgelenk schlendernd, auf der Schulter drapiert. Meine Freundin hat einen leicht glasigen Blick und verabschiedet sich abrupt. Sie muss noch etliche Pfützen aufwischen, den Untersuchungsstuhl neu einstellen (warum zeigt sie den Mädchen auch die Hydraulik?) und ihre Broschüren über Beckenbodentraining und frühe Impotenz neu sortieren.

Im Fahrstuhl nach unten platzt das erste Präservativ. Ich lasse alle Wasserschläuche in den Müll werfen und drohe mit Vergeltung, wenn die Rückfahrt in der U-Bahn nicht angemessen verläuft. Am Telefon äußert sich meine Freundin hinterher erleichtert über die Wahl ihres Studienfachs. Nur ungern würde sie mit mir tauschen. Dabei hat sie bei diesem Kurzbesuch kaum ein Drittel meiner Klasse kennen gelernt.

Gabriele Frydryich

Zitat: Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content