Der Frühling ist ein Gedicht. Seit es eine regelmäßige Erfassung meteorologischer Daten gibt, war es in Mitteleuropa noch nie so sommerlich warm wie in diesem Jahr. Fauna, Flora und Mensch genießen es.

Junge Amsel © CJD-UPDATE/A. BubrowskiFrühlingsglück einer jungen Amsel: Mittagessen im Anflug. (*)

Wetterspezialisten vermuten jedoch in dem Temperatursegen eher einen Fluch. Die zunehmende Erderwärmung könnte dahinter stecken. Das ist der bittere Wermutstropfen im süßlichen Frühlingsglück. Man könnte sich mit einem Frühlingsgedicht trösten – derweil.

Es färbte sich die Wiese grün

Novalis (Friedrich Freiherr von Hardenberg, 1772-1801)

Es färbte sich die Wiese grün
Und um die Hecken sah ich blühn,
Tagtäglich sah ich neue Kräuter,
Mild war die Luft, der Himmel heiter.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

teaser_novalisNovalis, nach einem Kupferstich
von Eduard Eichens.

Foto: gemeinfrei

Und immer dunkler ward der Wald
Auch bunter Sänger Aufenthalt,
Es drang mir bald auf allen Wegen
Ihr Klang in süßen Duft entgegen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Es quoll und trieb nun überall
Mit Leben, Farben, Duft und Schall,
Sie schienen gern sich zu vereinen,
Daß alles möchte lieblich scheinen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

So dacht ich: ist ein Geist erwacht,
Der alles so lebendig macht
Und der mit tausend schönen Waren
Und Blüten sich will offenbaren?
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
Vielleicht beginnt ein neues Reich.
Der lockre Staub wird zum Gesträuch
Der Baum nimmt tierische Gebärden
Das Tier soll gar zum Menschen werden.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Wie ich so stand und bei mir sann,
Ein mächtger Trieb in mir begann.
Ein freundlich Mädchen kam gegangen
Und nahm mir jeden Sinn gefangen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Galerie Frühlingsgedicht (*)

Sie ging vorbei, ich grüßte sie,
Sie dankte, das vergeß ich nie.
Ich mußte ihre Hand erfassen
Und Sie schien gern sie mir zu lassen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Uns barg der Wald vor Sonnenschein
Das ist der Frühling fiel mir ein.
Kurzum, ich sah, daß jetzt auf Erden
Die Menschen sollten Götter werden.
Nun wußt ich wohl, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.

Sportfreunde Stiller – Frühling

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(*) Teaser/Bild: Andreas Bubrowski