HR-Medientag 2011: Müssen Lehrer dauernd online verfügbar sein?
Teil 2: Medienwelten Jugendlicher, Facebook-Hype, Medienpraxis
Die Atmosphäre erinnerte an die erste Mathematikstunde einer höchst reservierten achten Klasse zu Beginn des neuen Schuljahres. Der neue dynamisch-begeisterte Lehrer fragt die Schüler, was sie denn so von Mathematik halten. Als Antwort gibt es erst betretenes Schweigen, dann als jeder etwas sagen muss, folgt mehrheitlich: Keine Ahnung, mag ich nicht, hmm.
Hinnark Röber, YOU FM, Corssmedia Redaktion. (*)
Kleiner Unterschied: Die Achtklässler sind Lehrer, die am am HR-Medientag 2011 teilnehmen. Der „Mathematiklehrer“ ist Hinnark Röber von der HR-Jugendwelle YOU FM und Redakteur der Crossmedia Redaktion. Der Klassenraum ist ein Konferenzsaal. Und die Frage lautet in Wirklichkeit: Welche konkreten Erfahrungen haben Sie mit Facebook. Am Ende der „Mathematikstunde“ werden die Lehrer eher noch reservierter sein, zumindest wenn es um den Facebook-Hype und die Frage geht, ob Lehrer dauernd online verfügbar sein müssen.
Objektiv-kritischer Know-how-Transfer
Das Tagungs-Angebot der zweiten Hälfte des HR-Medientages 2011: fünf Arbeitsgruppen rund um die Radio- und Audio-Praxis, eine Arbeitsgruppe zu einem ausbildungsbezogenen Filmprojekt und – das globale Thema – eine Arbeitsgruppe zu „Chancen und Risiken sozialer Netzwerke.“ Wie am Vormittag war das globale Thema das am meisten anziehende. Lehrer stehen im Ruf zwar nicht alles, dafür aber alles besser zu wissen. Doch in Sachen Facebook und „soziale Netzwerke“ versagt das Klischee – leider, denn wie wollen Lehrer ihren Schülern in einer Sache Kompetenzen vermitteln, von der sie selbst keine Ahnung haben und dennoch und sowieso wenig davon halten.
Dankbar nahm die Runde daher das Angebot ihres „Mathematiklehrers“ an, mal eben einen Crashkurs in „soziale Netzwerke“ am Beispiel des Facebook-Auftritts von YOU FM zu absolvieren. Unterstützt wurde Hinnark Röber von Jan Eggers, Social Media Manager des HR. Eine knappe Stunde lang boten Röber und Eggers eine horizontal und vertikal ins Detail gehende Praxisvorführung des Online-Netzwerkes. Obwohl die Referenten keinen Hehl aus ihrer Begeisterung für das Netzwerk machten, blieben sie ihrer journalistischen Ehre einer objektiven Berichterstattung treu und verwiesen auch auf zahlreiche fragwürdige Bedienungsdetails von Facebook.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=CE2Ru-jqyrY[/youtube]Once Posted You Lose it
Der kompakte objektiv-kritische Know-how-Transfer ließ die konzentriert lauschenden Lehrer langsam auftauen. Allerdings eher nicht programmkonform. Die pointierten Ausführungen von Röber und Eggers lösten zahlreiche Aha-Effekte aus, die sich schließlich zu der Einsicht bündelten:
Wie kann man nur einem durchschaubar vor allem auf Datenfang ausgerichtetes System wie FACEBOOK so undifferenziert als „sozial“ huldigen, dem System angesichts gravierender Datenschutzrisiken Persönliches anvertrauen und Stunden seiner kostbaren Zeit mit vornehmlich banalen Inhalten verbringen? Und sicher ist es Lehrern nicht zuzumuten ständig online verfügbar zu sein.
Am Schluss ging es richtig zur Sache: Eggers ließ es sich nicht nehmen, angesichts der von den Lehrern geäußerten Vorbehalte das Zitat einzuwerfen, die – sinngemäß – Facebook-Verweigerer wären die Analphabeten des 21. Jahrhunderts. Das wiederum löste den Konter aus, Facebook sei nichts weiter als ein Marketing-Werkzeug im pseudosozialen Mäntelchen. Das aber konnte Eggers nicht stehen lassen. Er sei doch kein Marketingmensch, sondern noch immer Journalist…
Mediale Analphabeten im pädagogischen Abseits
Besser als mit einem emotional aufgeladenen Disput hätte der Medientag für die Teilnehmer nicht enden können. Der Disput mag die Richtung angeben für die aktuelle Medienarbeit. Die Wahrheit ist wie immer in der Mitte zu vermuten. Natürlich sind „soziale Netzwerke“ vor allem Verkaufswerkzeuge und wenn überhaupt nur marginal sozial motiviert. Die seriösen Print- und Onlinemedien gehen daher zunehmend zur korrekteren Bezeichnung „ONLINE-Netzwerke“ über. Berufsberater empfehlen, bei Facebook und Co. zielgerichtet berufliche Profile zu posten, um das Interesse potentieller Arbeitgeber zu wecken, NIE aber auch nur ein Stück Privatsphäre online zu stellen. Und Sender wie der HR brauchen Quote, dazu ist ein – journalistisch basiertes – Online-Netzwerk-Profil recht und billig. Und Lehrer müssen sehr wohl darauf achten, nicht als mediale Analphabeten im pädagogischen Abseits zu landen. Das verlangt die Fürsorgepflicht ihren Schülern gegenüber.
Teil 1: Medienpädagogik: Fachtagung beim Hessischen Rundfunk
(*) Text/Bild: Andreas Bubrowski
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