Wenn Lernen anstrengt, bleibt neuer Stoff besser haften
Eine ganze Industrie lebt davon, besorgten Eltern und geforderten Lehrern die Notwendigkeit zu verkaufen, Kindern das Lernen immer mehr und mit immer neuen Techniken zu erleichtern. Apple etwa möchte am liebsten, dass Schüler sich nicht länger mit schweren Schultaschen abquälen müssen. Beziehungsweise: Monopolist Apple will Schulbuchverlage, Schulen und Eltern zu Dauerkunden seines iPad machen. Das Wegfallen von Schulbüchern und Schultasche und dennoch 400 Bücher dabei haben zu können, ist vor allem suggestivstarkes Verkaufargument.
Reduziert zu viel Multimedia die Wahrnehmung? © 2012 Apple Inc.
Dabei ist aus orthopädischer Sicht nichts Schlechtes an einer – nicht ganz leichten, aber auch nicht zu schweren – Schultasche. Sie kann helfen, der Neigung zu Haltungsschäden entgegenzuwirken. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen haben außerdem erbracht: Generell ist Anstrengung beim Lernen besser. Neuer Stoff bleibt dann besser haften.
Lernerfolg durch wiederholtes Lernen
Anstrengung beim Lernen – Forscher der Princeton- und Indiana-Universität haben mit 15- bis 18-jährigen Schülern einer Highschool Experimente mit leicht und schwer leserlicher Schrift durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt: Schülern, die mit der schwer lesbaren Schrift arbeiten mussten, konnte eine tiefer gehende Informationsverarbeitung im Gehirn nachgewiesen werden. Fazit: Wenn Lernen anstrengt, bleibt neuer Stoff besser haften.
Wiederholtes Lernen – Kognitionspsychologe Nate Kornell hat mit einem Forscherteam im Rahmen einer Studie Probanden 36 Substantive auswendig lernen lassen. Die Wörter standen in zwei verschiedenen Schriftgrößen zur Verfügung. Die Teilnehmer hatten abzuschätzen, welche Schriftgröße das Lernen erleichtern würde. Entgegen der Annahme, größer geschriebene Wörter würden sich leichter einprägen, stellte sich aber heraus, dass die Schriftgröße keinen Effekt auf den Lernerfolg hatte, dafür aber wiederholtes Lernen.
Reflexion und Abstraktion – Bildgebende Animationen sind an Schulen bei Lehrern und Schülern beliebt, um komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge zu veranschaulichen. Forscher in den USA haben aber nachgewiesen, dass der Lerneffekt dabei tatsächlich eher negativ ist. Knuffige Bilder und Videos vermitteln dem Bewusstsein den falschen Eindruck, dass der behandelte Stoff leicht zu verstehen und anzuwenden ist. Die Fähigkeit des Gehirns zur Reflexion und Abstraktion wird nicht aktiviert. Die Folge: Der Stoff wird nur oberflächlich erfasst und nach kurzer Zeit vergessen.
Feinmotorik – Auch zum massiven Einsatz der Touch-Screen-Technik im Unterricht werden inzwischen Bedenken laut. Was zunächst als Erleichterung erscheint, dass Schüler an der Tafel (Whiteboards) und am Platz (Tablet-Computer) mit Hilfe von Wisch-und-Weg-Bewegungen Schreiben und Lesen können, führt tatsächlich zu einer Reduktion der Orientierungsgrade des Bewusstseins. Etwa die scheinbar nervige „Nebensächlichkeit“, einen Stift zu führen und dabei die Effekte auf die Linienführung zu SPÜREN, wenn man den Aufstellwinkel oder Andruck variiert, geht komplett verloren – und damit aber auch das damit einher gehende unbewusste Training der Feinmotorik. Die drei Dimensionen des Raumes und die Dimension der sinnlichen Wahrnehmung werden de facto auf ein zweidimensionales Wisch-und-Weg reduziert.
Das EINE tun, ohne das ANDERE zu lassen
Stellt sich wieder die Frage, was tun? Sicher sollte man Kindern nicht prophylaktisch zwei Ziegelsteine in den Ranzen stecken oder die Touch-Screens verbannen. Das EINE tun ohne, das ANDERE zu lassen, scheint ein vernünftiger Mittelweg zu sein. Hier und da ein Whitboard ist sicher von Vorteil. Doch das Recht auf das „gute alte Schulbuch“, das Schreiben auf Papier und gelegentlich widerspenstig quietschende Kreide an der Tafel sollten wir unseren Kindern erhalten. ANDREAS BUBROWSKI
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