Serie „Reihum-Geschichten“ – fünf Absätze, fünf Autoren

Licht werden, Arbeit aus dem Kunstunterricht, Autor unbekannt. Bild: A. Bubrowski/CJD Oberurff
Licht werden, Arbeit aus dem Kunstunterricht, Autor unbekannt. Bild: A. Bubrowski/CJD Oberurff

Werde zum Licht und das Licht kommt zu dir“. Die Worte aus dem Adventsgottesdienst gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, als ich am späten Nachmittag endlich die Schule hinter mir hatte. Es war schon den ganzen Tag graues, nebeliges Wetter gewesen, bei dem man die Sonne nur erahnen konnte. Die feuchte Kälte zog unaufhaltsam in jede Faser meiner Kleidung, als ich fröstelnd an der Bushaltestelle wartete. „Das Licht kommt zu dir“, das könnte fürs Erste der Bus sein, dachte ich. (ABSATZ 1)

Abrupt holten mich die Geräusche des Busses aus den Gedanken. Da ich zum Glück nicht weit von der Schule weg wohnte, war ich schon nach 10 Minuten zu Hause. Ich sah schon von Weitem, dass meine Mutter nicht zu Hause war, da das Auto nicht wie sonst immer vor dem Haus stand. (ABSATZ 2)

Da ich einen eigenen Schlüssel besaß, letzte Weihnachten war ich mächtig stolz darauf, schloss ich die Tür auf und rief nach meiner Mutter. Keiner antwortete und ich fand auch keinen Zettel auf dem Küchentisch wie sonst immer, wenn meine Mutter mal schnell wohin musste. Also wählte ich ihre Nummer, doch keiner hob ab. (ABSATZ 3)

„Na gut“, dachte ich mir, als ich den Weg zur Küche einbog. Auf dem Küchenherd stand alles, als ob jemand gekocht hätte und es dann fotografiert hätte. Dieser Jemand war wahrscheinlich meine Mutter. Mein Handy klingelte. „Hallo?“, meldete ich mich. „Hallo mein Schatz“, meldete sich meine Mutter mit zitternder Stimme, „dein Opa liegt im Sterben. Er möchte dich unbedingt noch mal sehen. Deswegen holt dich gleich ein Taxi ab.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also stammelte ich nur: „O-Okay, dann, dann bis gleich.“ Damit legte ich auf. Wie versprochen klingelte es an der Haustür. Das musste das Taxi sein. (ABSATZ 4)

Etwas benommen ging ich zur Tür und folgte dem Taxifahrer zum Auto. Es dauerte nicht lange, da kamen wir schon beim Krankenhaus an. Ich stieg aus und lief in Richtung Eingang. Mit zitternder Stimme fragte ich an der Rezeption nach meinem Opa. Danach machte ich mich auf den Weg zu Behandlungszimmer. Die Tür war nur angelehnt, also klopfte ich an und trat ein. Meine Mutter saß an einem Bett und hielt die Hand meines Opas. Sie hatte Tränen in den Augen und ihre Hand zitterte leicht. Als sie mich sah, winkte sie mich zu sich. Ich sah meinen Opa, seine Augen waren geschlossen, aber er atmete noch, was ich mit Erleichterung feststellte. „Sie ist da“, flüsterte meine Mutter und ließ mich auf ihren Stuhl. Mein Opa blinzelte mich träge an und lächelte leicht. Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn und sagte: „Ich habe dich lieb Opa, das werde ich immer!“ Damit schloss er die Augen für immer und ich stellte mir vor, wie ein Licht ihn den richtigen Weg ins Jenseits führte. (ABSATZ 5)

(Gestaltung: BUB)