Lehrinhalte von Schule: alltagsfern und nutzlos?
Bei Twitter löste eine Schülerin aus Köln Diskussionen aus. Neben den normalen Tweets von Frühstück und häuslichen Tanzaufführungen postet sie ein kritisches Statement, welches den gewohnten Wust von Banalitäten unterbricht:
Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen.
Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.
— Naina (@nainablabla) January 10, 2015
Übertriebene Verallgemeinerung oder bittere Tatsachenbeschreibung?
Fehlende Alltagsnähe ist ein Kritikpunkt
Bildungsministerin Johanna Wanka nahm dazu Stellung: „Ich finde es sehr positiv, dass Naina diese Debatte angestoßen hat. Ich bin dafür, in der Schule stärker Alltagsfähigkeiten zu vermitteln. Es bleibt aber wichtig, Gedichte zu lernen und zu interpretieren“, laut Spiegel. Die Diskussion spaltete sich in zwei Lager. Sollten wir in der Schule allein die Bewältigung der Anforderungen des Alltags wie Rechnungen, Miete usw. vermitteln oder lernen wir Strukturen, die uns befähigen neue Aufgaben aus uns heraus selbst lösen zu können? Die fehlende Alltagsnähe ist ein Kritikpunkt, welche viele Schüler in wiederholten Abständen äußern. Machen wir es uns da leicht oder sollte das System einer Prüfung unterzogen werden?
Diese Frage ist abschließend schwer zu klären, aber um auf ein altes Bild zurückzukommen: Wir sollten nicht nur lernen den einen Fisch zu fangen, der uns satt macht. Sondern wir sollten die notwendigen Fähigkeiten erwerben, das gesamte System zu verstehen, welches uns den Fischfang ermöglicht und somit eine umfassendere Versorgung. Die Diskussion an sich ist nicht verloren. Schüler äußern ihre Sorgen! Schule muss das Leben behandeln. Die Aussage von Naina zeigt uns, dass Kommunikation zwischen Schule und Schülern sich mehr um ein Lernen fürs Leben drehen sollte.
Linksunten: Naina @ Tumblr
(Gestaltung: BUB)
Kommentare
Nainas Aussagen über sich und ihre Tumblr Seite zeigen mir zuerst, dass ihr Poesie auch wichtiger ist als Steuern und Miete! Nichtsdestotrotz sind lebensnahe Themen auch imSchulunterricht gut aufgehoben. Schwarz-Weiss-Bewertungen sind nicht produktiv (nicht mal meine von oben!).
Hier wird wieder mal fälschlicherweise die Schule als Lehranstalt für alles angesehen. Das kann keine Schule leisten! In der Schule soll Wissen aus vielen Bereichen vermittelt werden. Aber wenn man jeden Aspekt des Lebens in ein Schulfach zwängen möchte, dann haben die Schüler überhaupt keine Freizeit mehr. Ist kochen Pflichtfach? Wäsche waschen? Es gibt sicherlich Angebote (an manchen Schulen) um auch diese Dinge zu lernen. Aber eigentlich ist das die Sache der Eltern. DIE sind in der Pflicht, ihr Kind zu erziehen und Dinge des Alltags beizubringen. Einige sind damit sicherlich überfordert. Aber nur weil die Eltern versagen, kann die Schule nicht als Sündenbock her halten.
Wie sich die Miete berechnet, sollte in Mathe dran gekommen sein (Addition, Multiplikation…), wo man sich Informationen beschafft, sollte auch beigebracht worden sein (über alle Fächer hinweg). Fehlt es an anderen Fähigkeiten würde ich den schwarzen Peter galant den Eltern zu schieben.
Das stimmt alles grundsätzlich. Aber andererseits kommt Schule hier immer mehr Verantwortung zu. Dazu ein Beispiel. Whatsapp wird momentan in der Mittelstufe häufiger zur Plattform öffentlichen Hänselns bis hin zu Mobbing benutzt. Eigentlich seltsam. Denn laut AGB dürften Jugendliche erst ab 16 an dem Dienst teilnehmen. Schüler bis zur 9. Klasse dürften also auf diese Weise gar nicht angreifbar sein bzw. angreifen können. Eindeutig haben die entsprechenden Eltern hier die exklusive Verantwortung, sind also in der Angelegenheit mutmaßlich überfordert oder zu nachlässig oder unwissend ob der Rechtslage.
Wenn nun aber etwa in einer siebenten Klasse Schmäh-Chats ablaufen, wo sollen die seelisch verletzten Schüler sich hinwenden in ihrem Leid? Zu den Eltern, die das Chatten gar nicht hätten erlauben dürfen? Die erste Anlaufstelle ist (oder sollte m. E. sein) der KLASSENLEHRER. Vorausgesetzt, der kennt sich technisch aus und animiert nicht selbst die Kinder dazu sich entgegen der AGB mit Whatsapp & Co ausgiebig einzulassen.
Der „schwarze Peter“ der ethisch-moralischen Verantwortung landet hier notgedrungen zunächst bei der Schule. Was ja andererseits auch das Schöne am pädagogischen Beruf ist, mehr zu sein, als „Wissenabfüller“, sondern auch im sozialen Umfeld und bei den „Soft Skills“ impulsierend zu wirken / wirken zu dürfen.
Das stimmt, die Schule bekommt immer mehr Verantwortung aufgebürdet. Ich wollte nur einwerfen, dass die Verantwortung eigentlich bei den Eltern liegt. Nur weil diese versagen, kommt die Schule ins Spiel.
Ich höre oft, dass die Schule ihrer Erziehungspflicht nicht nachkommt. Soweit ich weiß, soll / darf die Schule gar nicht „Erziehen“ (im strengen Masstab). Man hat sich halt daran gewöhnt, dass die Schulen diese Aufgaben mit übernehmen und ihr möglichstes Versuchen…..dabei wird vergessen, wessen Aufgabe es eigentlich wäre.
Klasse! Wo, wenn nicht HIER, gehört dieses Thema hin?
Um an dem Tweet anzuknüpfen: Ein Jahr älter, fast 19, und auch ich kann diesbezüglich keine nennenswerten Kenntnisse vorzeigen. Dass sich das heute natürlich durch Web-Recherchen schnell ändern lässt, ist gut und schlecht zugleich. Bei Alltagsfragen geht so die persönliche „Überlieferung“ verloren. Fraglich ist, ob sonst Schule oder Eltern hierfür zuständig wären. Wie war’s denn früher? Alternativ dazu der Try-Error-Methode zu vertrauen scheint mir aus Gründen der Nachhaltigkeit, insbesondere bei intellektuell herausfordernden Themen, sehr sinnvoll – aber nicht vollständig.
Nainas kritische Reflexion, Selbstbewusstsein, Diskussionsbereitschaft und Weiteres, was allesamt für ihren Kommentar nötig war, zeigen aber eins deutlich: Schule lässt sich glücklicherweise nicht nur auf den Stoffplan reduzieren, sondern sollte – und tut es offensichtlich auch – ebenso gesellschaftsnotwendige Soft-Skills wecken, fördern und fordern. Meines Erachtens ist das VIEL wichtiger fürs Leben als Steuererklärung & Co. Solange hieran festgehalten und verbessert wird, müsste wohl jeder Schüler zu angemessener Zeit dazu fähig sein, die angesprochenen Bildungslücken selbstinitiativ zu kompensieren.
Das womöglich mit dem Kommentar zur Gedichtsanalyse kritisierte Übergewicht seitens Geisteswissenschaften ist wohl interessensabhängig. ICH zumindest bin dafür sehr dankbar, weil gerade dort das Potenzial für Fortschritt jeglicher persönlicher und gesellschaftlicher Art zu liegen scheint.
Wir haben ja das Prinzip Individualpädagogik. Mutmaßlich hatte Naina einfach Glück mit ihren Deutsch- und Sprachlehrern, aber eher Pech bei Mathematik und PoWi. Wenn es die Klassensituation erlaubt, bietet es sich schon in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 – ganz zu schweigen von der Oberstufe – direkt an, in Mathematik „Steuern, Miete oder Versicherungen“ als Praxisfälle zu behandeln. Steuern etwa, wenn erweiterte Prozentrechnung angesagt ist (Klasse 8), Miete, wenn rationale Zahlen behandelt werden (Klasse 7) und Versicherungen, wenn Wachstums- und Zerfallsprozesse anstehen (Klasse 10).
STEUERN, MIETE, VERSICHERUNGEN – sind klassische Themen aus dem „Kampf des Egos ums Dasein“. Poesie – und die auch noch in vier Sprachen – gehören wohl eher in den subtilen geistig-seelischen Bereich des Menschen. Im Sinne einer ganzheitlichen Impulsierung der Schülerpersönlichkeit gehören BEIDE Aspekt dazu, sind quasi zwei Seiten einer Medaille.
Die mutmaßliche Praxis-Einseitigkeit die Naina erfahren musste, hat aber auch ihr Gutes: Sie muss sich das jetzt SELBST erarbeiten – ggf. auch „erleiden“, im Falle von Fehlentscheidungen. Ganz im Sinne von 3 – 2 – 1 — MEINS.