Lateinfortbildung: Was geht verloren, wenn die Antike verloren geht?
Lateinfortbildung mit Dr. Rainer Nickel
Am 14. Mai 2019 war der berühmte Didaktiker des altsprachlichen Unterrichts, Dr. Rainer Nickel, anlässlich einer Lateinfortbildung zum Thema „Werte oder nur Worte?“ zu Gast an unserer Schule. Latein-Fachsprecherin Lisa Marie Meckbach betonte die „Wichtigkeit, immer wieder über die Relevanz des Faches Latein für den gymnasialen Bildungsgang und dessen Aktualität zu reflektieren.“
Spielerfrau hat Bedeutung ihres Tattoos memento mori nicht verstanden
Im Mittelpunkt des Referats der Fortbildung standen nicht nur Gedanken zum Wesen und Funktion römischer Wertbegriffe, sondern auch das Spannungsfeld, wenn „jemand öffentlich Wasser predigt und heimlich Wein trinkt.“1 Das gab es auch schon in der Antike: aliter loqueris, aliter vivis („Du redest anders als du lebst.“), liest man bei Seneca. „Wir können aber antike Werte nur verstehen, wenn wir sie als affin zu unseren betrachten und Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten.“ Nickel verdeutlichte, dass daher eine Wort-zu-Wort-Übersetzung von lateinischen Wertbegriffen, wie die Schüler sie aus dem Lehrbuch oder Lexika kennen, unzureichend sei.
Anschließend hob er neben der Erziehung durch die Eltern die essentielle Bedeutung des Lesens für die Vermittlung von Werten in einer digitalisierten Welt hervor: „Literatur schafft Wertbewusstsein. Sie gibt uns das, was wir über Werte wissen sollen“, wobei Lernende sich auf einen gemeinsamen Kanon berufen sollten – auch dies ein antiker Gedanke. Als Beispiel nannte Nickel die fides in Schillers „Die Bürgschaft“, die hier als „Pflicht zur Einhaltung eines Versprechens“ übersetzt werden kann. „Gibt es in einer offenen Gesellschaft wie der heutigen überhaupt allgemein anerkannte Werte?“, stellte Nickel zu Beginn provokant zur Diskussion. Seiner Meinung nach müssten Werte heutzutage in engen Beziehungen ausgehandelt werden. „Die Menschenrechte sind ein gutes Beispiel hierfür.“
Trotz seiner inzwischen 78 Jahre ist es Rainer Nickel daran gelegen, nach der Antike im Alltag zu forschen. Seine aktuelle Publikation „Gegenwärtige Vergangenheit“ (wbg) beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit das menschliche Bewusstsein von Vorstellungen geprägt ist, die unentdeckt und übersehen in antiken Texten wurzeln. Eine Kostprobe der Thematik gab der „Schulmeister“, wie er sich selbst nennt (Nickel unterrichtete alte Sprachen und war 20 Jahre Schulleiter), dem Latinumskurs Q2 von Frau Meckbach. Mit verschiedenen Beispielen aus den Printmedien, die lateinische Worte zeigen, begab er sich gemeinsam mit den Schülern auf die Spurensuche. So konnten sie herausfinden, dass der „Tagesspiegel“ mit rerum cognoscere causas in Verbindung mit dem Dichter Lukrez steht und den Leser vor allem in Zeiten von Fake News dazu auffordert, Dinge kritisch zu hinterfragen, oder dass Ann-Kathrin Brömmel (jetzt Spielerfrau Götze) die Bedeutung ihres Tattoos memento mori nicht verstanden hat.
Das Fach Latein wählen deutschlandweit immer weniger Schüler als Fremdsprache an Gymnasien, was im Widerspruch zu seinem hohen Bildungswert (Stichwort: Wertevermittlung) steht. Hierzu bezieht Nickel ganz klar Stellung: „Man muss sich fragen: ,Was geht verloren, wenn die Antike verloren geht?’ Alles wäre nur fahles Skelett. Das Fleisch liefert die Antike.“
(Gestaltung: BUB)
- Vgl. Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen, 1844, Caput I. ↩
Kommentare