Soziale Netzwerke – als Lehrerfalle
Per Smartphone stets und überall im Internet. (*)
Angenommen, ein Lehrer chattet in Online-Netzwerken mit Schülern über private Dinge, dann wäre er (oder sie) deswegen etwa in Bayern höchst wahrscheinlich bald seinen Job los. „Soziale“ Netzwerke haben zunehmend das Zeug zur rufschädigenden Lehrerfalle – übrigens auch dann, wenn man dort gar nicht registriert ist. Was aber ist daran verwerflich, wenn sich Lehrer und Schüler auf Online-Netzwerken virtuell „treffen“? Und ist es nicht Ausdruck sozialen Engagements oder „sozialer Nähe“, wenn es dabei auch mal um Privates geht?
„Besondere Schutzbedürftigkeit der Schülerinnen und Schüler“
In Bayern gibt es seit Ende 2012 dazu eine klare Ansage des Bayerischen Staatsministers für Unterricht (Az.: III.4-5 S 1356-3.18 725, S. 359):
Von einer unterrichtlichen Nutzung sozialer Netzwerke ist mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Schülerinnen und Schüler abzusehen.
Das Distanzgebot gilt natürlich umso mehr, wenn es bei der virtuellen Kommunikation um AUSSERUNTERRICHTLICHE Themen geht, selbst wenn dabei Form und Inhalt harmlos bleiben. So hatte ein Lehrer in Bayern den Schuldienst zu quittieren, weil er
mit Schülerinnen privat gechattet hatte … obwohl die Gespräche nicht anzüglich oder anstößig waren. (Quelle: Süddeutsche.de ).
In Hessen ist das Kultusministerium noch am Ringen um verbindliche Richtlinien für den Umgang mit „sozialen“ Online-Netzwerken1. Damit nehmen die Risiken für Lehrer UND Schulen eher noch zu, da sich die Schulen im Umgang mit diesen Medien notgedrungen in einer Grauzone situativer Auslegung bewegen. Lehrer und Schulen müssen sich in Hessen also vorerst vorausschauend SELBST regulieren. Leicht kann ein in Online-Netzwerken gut gemeint aktiver Lehrer sich selbst und seine Schule ins rufschädigende Gerede bringen, auch durch mutmaßlich harmlosen virtuellen Smalltalk.
Was bedeutet „Zurückhaltung“?
Sicher nicht nachteilig kann es sein, sich im Schulbetrieb an der Regelung des Bayerischen Unterrichtsministeriums zu orientieren. Was nur bedeuten kann, sich mit „privaten Chats“ zurückzuhalten. Was aber bedeutet in dem Kontext „Zurückhaltung“? Ein paar praktische Ansätze, die auch Schüler berücksichtigen sollten.
NUR Reagieren, NIE Agieren
Lehrer sollten nur auf Anfragen von Schülern reagieren, nicht Schüler von sich aus kontaktieren. Ausnahmen mögen laufende Unterrichtsprojekte sein, bei denen eine temporäre virtuelle Kommunikation vereinbart wurde.
Strikt und ausschließlich NUR fachliche und schulorganisatorische Bezüge2
Wenn man als Lehrer etwa gerade auf SKYPE unterwegs ist und dort von einem Schüler aufgespürt wird, der einen Chat mit „Hallo, wie gehts“ sendet, würde es sicher eher Irritation auslösen, wenn der betreffende Lehrer NICHT reagieren oder den Schüler gar blocken würde. Am besten hält man es wie bei einer Begegnung im Supermarkt. Man grüßt feundlich zurück und geht seiner (hier: virtuellen) Wege. Gerade bei SKYPE ist für einen Schüler die Versuchung groß, mal eben über die Webcam mit dem Lehrer per Video zu kommunizieren. Hier ist es für alle Beteiligten zumeist am besten, wenn der Lehrer schlicht und einfach den roten Ablehn-Button der Videochat-Anfrage drückt… Allerdings sollte es DANACH unbedingt in der Schule ein aufklärendes Gespräch mit dem Schüler geben, warum ein Chat OHNE konkreten Fach- oder Schulbezug eine Grenzüberschreitung wäre.
Persönliches meiden
Lehrer haben ja auch ein Privatleben. Manche führen außerhalb der Schule geradezu eine Art „paralleles Leben“, sind vielleicht in Vereinen engagiert oder sind künstlerisch oder publizierend aktiv. Alles natürlich höchst interessant für Schüler, wenn sie entsprechende Spuren im Internet finden. Auf der sicheren Seite sind alle Beteiligten, wenn sie darüber auf virtuellem Wege NICHT kommunizieren.
Eltern informieren
Das Internet ermöglicht eine von Raum und Zeit unabhängige Kommunikation. Das bietet eine über den Schulbetrieb hinausgehende Dimension der individuellen Förderung von Schülern. Geht eine entsprechende Kommunikation über das knappe Beantworten von Fragen hinaus, sind unbedingt die Eltern regelmäßig über die virtuelle Kommunikation mit ihrem Sohn oder ihrer Tochter zu informieren. In einem solchen Fall ist das Einfließen persönlicher Ansichten und Befindlichkeiten unvermeidlich, ist aber eigentlich eine Übertretung des Distanzgebotes, die in dem Fall aber pädagogisch sinnvoll ist. Allein zum Zwecke der Selbstabsicherung sollte der Lehrer sich dazu das (am besten schriftliche) Einverständnis der Eltern einholen. Die Information der Eltern erfolgt sinnvoller Weise auch in Abstimmung mit dem Schüler. Heimliche Blindkopien von Emails an die Eltern würden, wenn sie herauskommen, das Vertrauen des Schülers erschüttern.
Dokumentieren
Alle Kommunikation mit Schülern ist sicherheitshalber aufzubewahren. Im Streitfall gibt es keine besseren Argumente als die konkret kommunizierten Inhalte selbst. Mitarbeiter des CJD sollten zudem beachten, dass es eine detaillierte Dienstordnung zur Nutzung von elektronischen Medien innerhalb der Schule gibt.
Vogel-Strauß-Denken
„Ach wie gut, dass ich mit alledem nichts zu tun habe“, mögen sich jetzt insgeheim manche von den wenigen, zumeist älteren Lehrern denken, die sich auch 2013 noch mit einer zeitgemäß aktiven Nutzung der Chancen des virtuellen Zeitalters schwer tun: „Da kann mir wenigstens nichts passieren.“ Vogel-Strauß-Denken und fataler Irrtum3. Auch solchen Lehrern können „soziale“ Netzwerke zur Falle werden. Etwa indem sich jemand in einem Online-Netzwerk als SIE ausgibt… Spätestens dann gilt: besser AGIEREN als (nicht) REAGIEREN.
(*) Text/Bild: Andreas Bubrowski
- Die Internetseite www.jugendmedienschutz.bildung.hessen.de steht zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung nicht zur Verfügung. ↩
- Lehrer sind weder gute Kumpel noch beste Freunde. Lehrer sind aber auch keine väterlich/mütterlich/brüderlich/schwesterlich wohlmeinende Therapeuten. Alle Kommunikation, die über den fachlich-schulischen Rahmen hinausgeht, bedarf der ausdrücklichen Zustimmung der Eltern und im Zweifel der Schulleitung. ↩
- Man könnte zudem argumentieren, dass in Sachen elektronische Medien sich bewusst anhnungslos gebende Lehrer ihrer Aufsichts- und Fürsorgepflicht gegenüber den ihnen anvetrauten Schülern kaum nachkommen können. Wie wollen sie denn Schüler bei etwas pädagogisch beaufsichtigen und anleiten, das sie selbst nicht kennen? ↩
Kommentare
auch ich finde diesen artikel sehr interessant und die tipps grundsätzlich auch sehr hilfreich. darüber hinaus werde ich allerdings das gefühl nicht los, dass mehr über gefahren als über chancen der sozialen netzwerke und modernen medien gesprochen wird. die aussage des bayrischen staatsministers halte ich für sehr fraglich und konservativ. das wichtigste ist der richtige umgang mit den modernen medien. diesen können sowohl schüler/innen als auch lehrer am besten im „learning by doing“ modus erlernen. lg n.schnetzler
Die Bayern-Regelung mutet in der Tat an, wie „das Kind mit dem Bade auszuschütten“. Warum soll es verwerflich sein, als Mathematik- oder Biolehrer mit Schülern auch einmal über „Gott und die Welt“ zu chatten? Freilich besteht dabei sehr wohl die Gefahr, dass man unbewusst die für den pädagogischen Prozess unverzichtbare Distanz verliert, zumal die Erfahrung lehrt, dass es beim Einmal-Chatten eher nicht bleiben wird :yes:. Nicht-chattenden Schülern könnte sich dann nicht zu unrecht leicht der Eindruck der Benachteiligung aufdrängen.
Unabhängig davon, dass es natürlich jedem Oberurffer frei steht, hier sachlich etwas über Online-Medien (oder was immer sonst) zu posten – MUSS man wirklich etwas über „Chancen“ von „sozialen“ Netzwerken schreiben? Einmal erledigen das die Anbieter schon überreichlich selbst, beschäftigen sie doch Heerscharen von hoch bezahlten PR-Experten, die uns immer aufs Neue in smarten pastellfarbenen Werbebotschaften subtil suggerieren „wie es und was geht“ und dass wir ohne diese Online-Netzwerke irgendwie minderwertig sind.
Wie erfolgreich die Suggestion des öffentlichen Bewusstseins ist, kann man zudem daran erkennen, dass selbst viele seriöse Medien Onlinenetzwerke, die doch nur einem Zweck dienen, der gewinnmaximierten Daten-Akquisition über den Weg der kompletten (!) Entrechtung der Nutzer an der Hoheit ihrer Daten und Bilder (s. AGB), immer wieder mit dem irreführenden Attribut „sozial“ versehen – quasi als vorausschauend-gehorsame Werbung für die Anbieter.
Dem gegenüber steht eine große Leere bei der Reflexion über die Schattenseiten dieses Pseudo-Sozial-Hypes. Kaum jemand dürfte die AGB von F…book & Co wirklich kennen oder ihre Tragweite gar verstehen. Niemand macht smarte „Werbung“ für die zahllosen hoffnungslosen Cyber-Opfer dieses Zeitgeist-Kultes. Wir verbieten den Kindern das Rauchen, erklären ihnen, wie sie unfallfrei über die Straße zu gehen haben, lassen sie aber etwa ihre schulischen Probleme Tag für Tag ungehindert auf einem US-amerikanischen Server ausbreiten, der diese Daten dann verdichtet als kostenpflichtige Werbeprofile verkauft (im harmlosen Fall).
Sehr empfehlenswert ist in dem Kontext eine 3sat-Doku, die wohl noch im Web erreichbar ist:
Faszination F…boo
Als Pädagogen müssen wir natürlich die Möglichkeiten aktueller Technik aus der Erfahrung kennen, aber nicht primär um uns die Arbeit zu erleichtern (das natürlich als Nebeneffekt gern auch), sondern um für „unsere Kinder“ effektiv Guide und Coach sein zu können. Das impliziert natürlich auch ausgeprägtes Unterscheidungsvermögen und permanentes Komptetenz-Update, um HINTER allem aktuellen Hype tatsächliche Motive und reale „Risiken und Nebenwirkungen“ erst erkennen und dann vermitteln zu können.
Wichtig ist aber auch, und da kann ich Dir nur zustimmen, die Möglichkeiten von Onlinenetzwerken „by doing“ konkret zu erfahren und auszutesten. Um einen grundlegenden ersten Umgang mit Onlinenetzwerken zu ermöglichen, haben wir das hier eingerichtet:
CJD2go
Wobei man CJD2go nun wirklich als kleines SOZIALES Netzwerk bezeichnen könnte. Denn weder verdienen wir an den bisher 570 Mitgliedern Geld, indem wir ihre Stamm- und Bewegungsdaten „verhökern“. Im Gegenteil, die Schule BEZAHLT für das Hosting! Zudem sind die Daten komplett und ausschließlich durch die Schule im Zugriff, also sicher wie ein Bad im Kinderplanschbecken .
Aber nach den letzten Meldungen (z. B. F…book kämpft um die Jugend ) wird klar, dass der Zenit des Netzwerk-Hypes wohl überschritten ist. Die Jugend ist ja nicht doof und durchschaut das manipulative F…book-Spiel. Viele Schüler brauchen zudem schlicht kein „soziales“ Netzwerk als Selbstbestätigung, kommen dennoch gut in der Schule klar und haben viele (reale) Freunde. Und immer mehr emanzipieren sich offenbar von den Gruppenzwängen permanenter Erreichbarkeit und der Erlangung vieler „Freunde“ und Gefälltmirklicks.
BUB
Für einen Kollegen an unserer Schule haben Schüler eine Facebook-Seite eingerichtet, von der er erst erfahren hat, als er von vielen Schülern darauf angesprochen wurde. Aber der Kollege hat sich eher gefreut, dass er von so vielen Schülern angesprochen wurde!!!! Was soll man dazu sagen?
Da ist sich mal wieder jemand über die negativen Möglichkeiten nicht im klaren. Hoffentlich macht er keine negativen Erfahrungen. Danke für die vielen Meldungen und Hinweise, die ihr dazu (Internetsicherheit) bisher gesammelt habt. Da ist es immer interessant Informationen bei euch zu bekommen.
Peter Falkenrodt