Digitale Käseglocke: Like mich!
Wer sich in Sachen SOCIAL MEDIA bei aller Nutzung einen kühlen Kopf und kritisches Unterscheidungsvermögen bewahrt hat und womöglich sogar die #SocialCourage besitzt, sich dem Kollektivzwang von Facebook & Co. auch mal zu verweigern, der mag es schon immer geahnt haben, was Psychologen zunehmend forschend unter die Lupe nehmen: Wer ständig bei Facebook und Whatsapp postet, ist im wahrsten Sinne des Wortes – BESOFFEN. Und zwar von sich selbst. Die Gier nach virtuellen „Likes“ schafft eine Art digitale Käseglocke isolierter Selbstbestätigung.
Studenten: (selbst)zufrieden
und politisch desinteressiert
Da ist zum Beispiel das Experiment von Mat Hinan. Der US-Publizist hat den Ober-Nerd gespielt, Facebook überfüttert und dazu 48 Stunden lang wirklich alles, was ihm dort ins Display kam, ein LIKE verpasst, inklusive dem Bild des verletzten Babys einer Bekannten. Einzige Ausnahme: der Post eines Todesfalles. Insgesamt vergab er in der Zeit über tausend LIKES. Nicht lange, und die Nachrichten seiner Freunde verschwanden von seiner Startseite. Stattdessen erschienen Mitteilungen von Markenprodukt- und Nachrichtenanbietern. Damit war schon mal bewiesen: Private Mitteilungen werden von professionellen Nachrichten übertrumpft.
Als Honan das erste Mal eine eher rechte politische Nachricht favorisierte, kippte die Startseite seines Profils thematisch komplett ins rechte Lager um. Begann er jedoch eher linke Meldungen zu „liken“, wurde seine Startseite zur linksextremen digitalen Wandzeitung. Honan schlussfolgerte daraus, dass Facebook Menschen wie in einer Käseglocke gefangen hält. Es werden nur Meldungen präsentiert, die das eigene Weltbild zu bestätigen scheinen. Alles andere wird strikt ausgeblendet. Vielleicht lassen sich so auch die Ergebnisse einer von Bildungsministerin Johanna Wanka in Auftrag gegebenen Studie erklären, wonach Studenten zwar zunehmend mit sich und ihren Lebensumständen zufrieden sind, aber weitgehend an politischen Themen desinteressiert sind. Wer selbst-beschwipst in seiner „Facebook-Blase“ über seine tollen Posts und die vielen Likes seiner „Freunde“ sich selbst betrachtet, hat weder Auge noch Ohr für die Welt „draußen“.
Das Fatale dabei: In seiner „Blase“ hält sich der Social-Media-Nutzer für besonders kommunikativ, weltoffen, tolerant und aufgeschlossen. Dass er in Wirklichkeit einem ihn zunehmend isolierenden Algorithmus – dem Algorithmus hinter den LIKES – zum Opfer fällt, bemerkt er noch nicht einmal. Spricht man so jemanden auch nur vorsichtig auf sein mögliches „Problem“ an, kann mit empörter Abwehr gerechnet werden, was aber die Wahrscheinlichkeit eines Defizits an kommunikativer, weltoffener und toleranter Aufgeschlossenheit eher bestätigt.
Schutz von Kindern und Jugendlichen
Doch noch nicht genug: Die Massen in ihren Google-, Facebook- oder Twitter-Blasen erzeugen einen kollektiven Gruppenzwang zum Konformismus, der unpopulären Meinungen keine Chance zur Artikulation gibt. Fachleute sprechen hier von der Schweigespirale: „Menschen in Gruppen tendieren dazu, die herrschende Meinung zu bestätigen oder wenigstens nicht in Frage zu stellen1“. Wer sich dennoch das Äußern einer anderen Meinung als der herrschenden getraut, kann mit sozialer Ausgrenzung rechnen. In den USA dienten zu Beginn der Blogger-Ära vor gut zehn Jahren Blogs mit ihren News-Feeds dazu, mögliche Wahlmanipulationen aufzudecken und jenseits der Leitmedien schnell landesweit bekanntzumachen. Inzwischen hat sich der Prinzip umgekehrt: Wie Facebook Wahlen beeinflusst, berichtete kürzlich eine Tageszeitung.
So wichtig der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor jugendgefährdenden Inhalten im Netz auch sein mag, möglicherweise ist die Hauptgefahr, vor der sie zu schützen und für die sie durch Lehrer, Erzieher und Eltern zu sensibilisieren sind, eine ganz andere. ANDREAS BUBROWSKI
- DIE SCHWEIGESPIRALE, Johannes Boie, Süddeutsche Zeitung, 6. Oktober 2014 ↩
Kommentare
Cooles Bild
Aber es stimmt, Leute oder Personen die bei sozialen Netzwerken sind fühlen sich oft cooler
Wow, unglaublich gut thematisiert!
Aber gab es das Prinzip Schweigespirale nicht schon vor dem Internet? Ist Konformität nicht ein grundsätzliches gesellschaftliches „Bestreben“ – einfach, bequemer. Social Medias sehe ich dabei „nur“ als erheblichen Beschleunigungsfaktor, durch den natürlich letztlich das Phänomen erst so richtig zum Ausdruck kommt.
Ganz im Gegensatz zur isolierenden Glocke durch angepasste Beschallung. Das ist in der Tat eine neue Errungenschaft unseres modernen Zeitalters, wenn auch bei weitem noch nicht perfektioniert. Ich habe wirklich Angst vor der Zukunft.
Ja, das „Prinzip Schweigespirale“ ist ein generelles Phänomen der menschlichen Gesellschaft. Im Internetzeitalter ist lediglich neu, dass die Menschen sich ihm freiwillig ergeben und dabei auch noch aufrichtig „glauben“, sie würden dadurch irgendwie aufgewertet werden.
Hat ein bisschen was vom „Kaiser mit den neuen Kleidern“. Nur umgekehrt: Nicht EINER läuft nackt herum (der Kaiser) und bildet sich ein sonst wie schick angezogen zu sein, während die ANDEREN (die Untertanen) angezogen ihm heuchlerisch ob seiner Tracht huldigen.
Jetzt läuft die MEHRHEIT (unkritische Social-Media-Konsumenten) splitternackt herum und wird von einer „angezogenen“ Minderheit (Programmierer, Werbeleute, Social-Media-Konzern-Besitzer) suggestiv mit Technik und Werbesprüchen glauben gemacht, sie wären kaiserlich gewandet.
Angst musst Du aber deswegen nicht haben. Du hast die Gefahr doch erkannt, wirst also weder in einer Social-Media-Käseglocke landen noch entblößt am Haken eines IT-Konzerns enden ;-), Dich etwa wegen eines Telefons nachts vor einem Laden auf die Lauer legen…
Die Richtung in der die Perfektion geht ist schon allenthalben wahrnehmbar. In den USA etwa hat eine Firma ihren Mitarbeitern eine App verordnet, die bei der Benutzung eines Aufzugs zum Benutzen der Treppe mahnt – aus Gesundheitsgründen. In manchen Premiumaltenheimen bekommen die Bewohner Chips implantiert. Jetzt öffnen sich bequem Türen, sobald sich ein Senior dieser nähert (oder eben nicht, wenn die monatliche Rechnung nicht bezahlt werden konnte). Spannend auch die #UBER-Attacke. Nicht grundlos hat sich der sozial gerierende Taxidienst einen Manager von Goldman Sachs in den Vorstand geholt. Mit Selbstausbeutung der Massen lässt sich für wenige gutes Geld verdienen…
Hoffnung macht außerdem, dass inzwischen vor allem die Psychologie und die Politikwissenschaft zu diesem Phänomen forschen. Es wissen sich schon noch eine ganze Menge Leute „gut anzuziehen“.